Bei Beleidigung dürfen Sie nicht automatisch fristlos kündigen

Herrscht auch bei Ihnen im Betrieb manchmal ein rauer Umgangston? Aber es gibt Grenzen. Beleidigungen des Arbeitgebers müssen Sie grundsätzlich nicht hinnehmen. Vom Grundsatz her kann die Beleidigung des Arbeitgebers sogar zu einer fristlosen Kündigung führen. Ob das möglich ist, ergibt sich immer aus den Umständen des Einzelfalls. Wovon hängt die Kündigung ab?

In dem Fall des LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.08.2011, Az.: 2 Sa 232/11) ging es um einen Lageristen, der seit 18 Jahren in dem Unternehmen beschäftigt war. Im Zusammenhang mit einer Krankmeldung forderte ihn sein Vorgesetzter auf, sich beim Betriebsrat über den richtigen Umgang und das richtige Verfahren bei einer Krankmeldung zu informieren.

In dieser Äußerung sah der Lagerist eine Drohung, die er mit dem Wort "Wichser" quittierte. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos wegen Beleidigung. Hiergegen klagte der Mitarbeiter und gewann. Die Kündigung war unwirksam.

Beleidigung kann Grund für fristlose Kündigung sein

Die Richter ließen zunächst keinen Zweifel daran, dass eine so schwere und ehrverletzende Beleidigung wie in dem Fall durchaus ein Grund für eine fristlose Kündigung sein kann. Im konkreten Fall kamen sie allerdings zu dem Ergebnis, dass kein ausreichender Grund für eine fristlose Kündigung vorlag. Sie begründeten das mit der bei jeder fristlosen Kündigung erforderlichen Interessenabwägung im Einzelfall.

Beachten Sie folgende Aspekte, die zu Gunsten des Mitarbeiters sprechen

Im Ergebnis hielten die Richter hier keine fristlose Kündigung sondern eine Abmahnung für erforderlich. Folgende Aspekte sprachen bei der Interessenabwägung für den Mitarbeiter:

Langjährige Betriebszugehörigkeit ohne Beanstandungen

Der Mitarbeiter war bereits seit rund 18 Jahren in dem Unternehmen beschäftigt, ohne dass es bisher Beanstandungen gegeben hat.

Daher ist den Grundsätzen aus der Emmely-Entscheidung des BAG folgend, ein einmaliger Verstoß nicht so schwerwiegend, dass auf eine vorhergehende Abmahnung verzichtet werden könnte.
 

Äußerungen des Arbeitgebers ließen sich als Drohung verstehen

Die Richter folgten dem Mitarbeiter dahingehend, dass die Äußerung des Arbeitgebers von ihm als Drohung zu verstehen gewesen ist. Sie sahen hierin eine Provokation, die zu Gunsten des Mitarbeiters zu werten war. Sie wollten die Provokation zwar noch nicht als Entschuldigung durchgehen lassen, bezogen sie jedoch in die Betrachtung mit ein.

Verhalten des Arbeitnehmers bei der Krankmeldung einwandfrei

Weiter sprach für den Mitarbeiter, dass sein Verhalten bei der Krankmeldung einwandfrei gewesen ist. Die Richter sahen daher keinen Grund für die provozierende Äußerung des Arbeitgebers, der Mitarbeiter möge sich über das richtige Verhalten der Krankmeldung noch einmal informieren.

Das bedeutet für Sie

Die Interessenabwägung im Einzelfall bei der fristlosen Kündigung wird von Arbeitgebern immer wieder vergessen. Insbesondere bei langjährigen Mitarbeitern, bei denen es in der Vergangenheit keine Beanstandungen gegeben hat, wird oftmals eine vorherige Abmahnung erforderlich sein.

Ohne diese wird die fristlose Kündigung scheitern. Auch das Vorverhalten des Arbeitgebers wird von den Arbeitsgerichten berücksichtigt. Prüfen Sie daher besonders sorgfältig, welche Aspekte möglicherweise für den Arbeitnehmer sprechen können.

Denken Sie auch an die hilfsweise fristgemäße Kündigung

Immer wenn Sie eine fristlose Kündigung aussprechen, sollten Sie hilfsweise eine fristgemäße Kündigung vornehmen. Dies müssen Sie ausdrücklich machen, etwa durch die Formulierung:

"Hiermit kündigen wir das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächst möglichen Termin, das ist der 30.4.2012".

Vergessen Sie dann auch nicht, einen vorhandenen Betriebsrat ausdrücklich sowohl zu der fristgemäßen als auch der fristlosen Kündigung anzuhören.