Bagatellkündigung: Wann ist sie zulässig?

Gehören Sie zu den Arbeitgebern, die es bedauern, dass das BAG mit der berühmten "Emmely-Entscheidung" (die Kassiererin mit den Pfandbons) Kündigungen wegen Bagatellvergehen erschwert hat? Die Umstände spielen jetzt eine größere Rolle. Dass trotz dieser Entscheidung auch ein seit 22 Jahren beschäftigter Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz bei Bagatelldelikten riskiert, hat das LAG München entschieden. Wann ist eine Bagatellkündigung zulässig?

Nach der Entscheidung des BAG wurde die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bei Bagatelldelikten arbeitnehmerfreundlicher. Die Gesamtumstände des Einzelfalls spielten eine größere Rolle. Dazu gehören zum Beispiel die Höhe des Schadens oder die Länge des Arbeitsverhältnisses ohne Beanstandungen. Entgegen vielen Gerüchten hat das BAG nie entschieden, dass bei Bagatelldelikten eine Kündigung unmöglich sei. Dem hat sich auch das LAG München in seiner Entscheidung vom 3. März 2011 zum Aktenzeichen 3 Sa 641/10 angeschlossen.

Geklagt hatte ein schwerbehinderter Buchhalter, der seit 22 Jahren bei seinem Arbeitgeber beschäftigt war. Zusätzlich war er Betriebsratsvorsitzender. Man sollte meinen, dass ihm dadurch gleich dreifacher Schutz gewährt wurde (lange Betriebszugehörigkeit, Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter und als Mitglied des Betriebsrates).

Zu der Kündigung kam es, als der Mitarbeiter die ihm überlassene Zugangskarte zum Unternehmen verloren hatte. Hierfür schuldete er dem Arbeitgeber Ersatz in Höhe von 20 €. Statt diesen Ersatz zu leisten, nutzte er seinen Zugang zum Buchhaltungssystem und ließ die Forderung dort verschwinden.

Als der Arbeitgeber dies erfuhr, kündigte er mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes und des Betriebsrates das Arbeitsverhältnis fristlos. Die Kündigung erfolgte anderthalb Monate, bevor der Arbeitnehmer ohnehin in den Ruhestand gegangen wäre.

Gegen diese Kündigung wehrte sich der Arbeitnehmer. In der ersten Instanz hat er noch gewonnen. Das Landesarbeitsgericht gab dann aber dem Arbeitgeber recht. Die Richter gingen davon aus, dass ein vorsätzlicher Betrug vorgelegen hat.

In dieser Situation sahen die Arbeitsrichter kein milderes Mittel als die Kündigung, daher fiel die Interessenabwägung zulasten des Arbeitnehmers aus. Sie begründeten ihre Entscheidung in erster Linie damit, dass der Betrug im Kernbereich der arbeitsvertraglichen Pflichten als Buchhalter stattfand und dass er sein betrügerisches Ziel hartnäckig und heimlich verfolgt hatte.

Auch nach Emmely gilt also: Einen Freibrief gibt es nicht

Trotz des an sich massiven Kündigungsschutzes für den gekündigten Arbeitnehmer wurde die Kündigung als zulässig erachtet. Bei einer so langen Betriebszugehörigkeit wäre im Normalfall zunächst eine Abmahnung bei einem Bagatelldelikt erforderlich gewesen. Für Sie bedeutet diese Entscheidung, dass eine Kündigung bei Bagatelldelikten ohne vorherige Abmahnung insbesondere dann zulässig sein kann, wenn das Fehlverhalten

  • im Kernbereich der arbeitsvertraglichen Verpflichtung liegt
  • Ihr Vertrauen massiv missbraucht wird (der eingeräumte Zugang zum Buchhaltungssystem)
  • und der Arbeitnehmer planmäßig, heimlich und entschlossen vorgeht.