Reue und Schmerz als Chance?

Reue ist ein zutiefst menschliches Gefühl. Man lernt sie meist kennen, sobald man alt genug ist die Konsequenzen seiner Taten zu begreifen.

Reue – was ist das?
Dass Reue ein sehr schmerzhaftes Gefühl ist, ist kaum zu bestreiten. Doch Schmerz ist nicht nur schlecht, sondern auch wichtig für uns. Er ist ein Warnsignal, und als solches oft hilfreich. Er warnt uns z. B. bei körperlicher Überlastung und beugt damit schwereren Schäden vor.

Auch rüttelt uns oft erst seelischer Schmerz wach, wenn wir uns in zwischenmenschlichen Beziehungen zu wenig um eigene Bedürfnisse gekümmert haben. Selbst manch menschliche Glanzleistung ist nur deshalb zustande gekommen, weil sie zur Erleichterung eines Leidensdrucks erbracht worden ist.

Ist der Schmerz der Reue also ein hilfreiches oder ein behinderndes Gefühl?
Nun, wie bei fast allem im Leben, kommt es ganz darauf an, wie stark dieses Gefühl ist, und was man daraus macht. Ist es nur ein flüchtiges Bedauern mit einem Schuss Nostalgie? Oder zerfrisst dieses Gefühl einen förmlich, wird zur nicht enden wollenden Grübelei, die einem jegliche Tat- und Lebenskraft raubt?

Wie entsteht Reue?
Wie kommt Reue überhaupt zustande? Sind die äußeren Umstände schuld? Oder hat man selbst Einfluss darauf? Bereits die alten Griechen haben den Zusammenhang zwischen Denken, Gefühlen und Verhalten erkannt. Schon Epiktet sagte: "Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Urteile und Meinungen über sie."

Reue kann uns weiterhelfen
Reue kann sehr hilfreich sein, indem sie uns davon abhält, gemachte Fehler zu wiederholen. So kann sie uns Lernerfolge und größere Reife einbringen. Sie kann uns zum Nachdenken und damit zu Erkenntnissen zwingen, denen wir in unbeschwerteren Zeiten lieber ausgewichen wären. Wer betreibt schon anstrengende Selbsterforschung, wenn in seinem Leben eitel Sonnenschein herrscht? Durch Reue zu Erkenntnisgewinn zu gelangen erfordert allerdings auch, dass wir bereits gelernt haben müssen, konstruktiv mit ihr umzugehen.

André Gide hat einmal geschrieben: "Es entspricht einem Lebensgesetz: Wenn sich eine Tür vor uns schließt, öffnet sich eine andere. Die Tragik ist jedoch, dass man auf die geschlossene Tür blickt und die geöffnete nicht beachtet."

In diesem Sinne kann Reue auch einer der größten Kraft- und Chancenräuber eines Menschenlebens sein. Sie kann zum Gefängniswärter werden, der es uns unmöglich macht, unsere Zukunft aktiv zu gestalten. Wer sich ständig selbst zerfleischt, kann nicht mehr kraftvoll planen und agieren, sondern oft nur noch einigermaßen ertragen, was ihm begegnet. Doch spätestens dann sollte man sich Hilfe suchen. Denn das Leben sollte und kann wesentlich mehr sein.