Alkoholabhängigkeit: Welche Rolle spielen die Angehörigen?

Es gibt viele Menschen, die mit einem Alkoholabhängigen in einer Lebensgemeinschaft leben. Sie leiden massiv unter der Situation, wollen dem Suchtkranken helfen, doch es kommt oftmals zu einem Kampf um das Suchtverhalten und dem eigenen Gefühl der Ausweglosigkeit aus der Lage. Einen Ausweg gibt es sowohl für Angehörige als auch für Abhängige - doch nur mit konsequenten Maßnahmen.

Zu viel Aufopferung führt eher zur Verstrickung als zu einer Lösung

Der Tatort des Geschehens ist immer die Familie. Tag für Tag spielen sich dort Szenen ab, die aus nervenaufreibenden Diskussionen, Streit und Kampf um das Suchtverhalten bestehen. Wenn Sie mit einem Alkoholiker eng in Verbindung stehen, dann kennen Sie die alltäglichen Probleme und Sorgen: ein Zusammenleben ist kaum umsetzbar und die Angst mit der Frage ob „sie/er heute trinken wird“ verfolgt Sie immer. Sie leiden häufig unter massiver Schuld, Schamgefühlen und Ratlosigkeit, Sie ertragen die Situation, aber wissen keinen Ausweg mehr. Vielleicht merken Sie vorerst nicht, dass Sie sich mit Ihrer Unterstützung und dem Dulden immer mehr abhängig von dessen Verhalten und der Erkrankung machen, bis eines Tages der Schleier von den Augen fällt.

Ein Zustand von Verstrickung und Hilflosigkeit mit suchtfördernden Verhaltensmustern führt in die Co-Abhängigkeit

Der Fachbegriff für diese Verhaltensmuster ist die Co-Abhängigkeit mit unterschiedlichen typischen Merkmalen. Vielleicht fällt Ihnen eine der folgenden Verhaltensweisen bei sich selbst auf:

  • Sie vermeiden, die volle Tragweite der schädlichen Konsequenzen des Suchtkonsums für den Abhängigen zu sehen.
  • Sie übernehmen die Kontrolle über den Suchtkonsum des Abhängigen.
  • Sie nehmen alle persönliche Verantwortungen des Abhängigen ab und räumen für ihn alle nötigen Probleme aus dem Weg.
  • Sie tolerieren den Suchtmittelmissbrauch des Abhängigen und akzeptieren die Rechtfertigungen und Verharmlosungen, mit denen der Abhängige seine Sucht herunterspielt.
  • Sie decken und verharmlosen selbst das Suchtverhalten Ihren Nahestehenden und belügen sich selbst.
  • Sie vertuschen die Alkoholabhängigkeit der betroffenen Person aus Schamgefühlen vor Freunden und ziehen sich immer mehr aus dem eigenen Freundeskreis zurück.
  • Sie unterstützen, indem Sie sich an der Beschaffung, der Zubereitung und dem Gebrauch von Alkohol beteiligen.
  • Sie geben sich für den Abhängigen völlig auf, leiden mit seine Sucht und beschützen ihn.

Unbewusste Unterstützung des Abhängigen

Sicher, Sie wollen dem Suchtkranken helfen, das Problem zu lösen, tatsächlich wird mit dieser Haltung eine Situation für den Alkoholabhängigen hergestellt, in der es keinen Grund gibt, den Konsum als Sucht zu sehen oder gar das Trinken einzustellen. Außerdem werden so wichtige Krisen verhindert, die für den Abhängigen notwendig sind, um eine Verhaltensänderung zu bewegen.

Wenn Ihr Familienmitglied selbst seine Sucht nicht als Erkrankung sieht, nützt all Ihre Unterstützung nichts. Sie, mit dem Versuch die Lebenssituation alleine zu bewältigen und so viel Kontrolle wie möglich über das Suchtverhalten der Person zu gewinnen, nehmen gleichzeitig dem Alkoholkranken alle Verantwortung ab. Somit wird dessen Suchtverhalten nur unterstützt und verlängert.

Die Beteuerung, nichts mehr zu trinken ist wertlos, solange keine konkreten Schritte von dem Betroffenen ausgeführt werden. Sie hingegen entwickeln in dieser chaotischen Lebenslage suchtfördernde Verhaltensmuster, die Sie selbst in die Co-Abhängigkeit führen, sofern Sie die Situation nicht rechtzeitig verlassen.

Das große Erwachen kommt meistens erst nach vielen Jahren des Leidens

Schließlich, nach vielen Jahren des Leides, in denen die Belastung schon sehr groß ist, wird die alkoholkranke Person im Stillen für Leid und freudlose Zeiten verantwortlich gemacht. Sie beginnen zu zweifeln und sich zu fragen, ob das alles sei: Sie sind nicht nur von Sorgen und Problemen belastet, sondern investieren Ihre ganze Kraft in die ausweglose Situation bis zur Erschöpfung, vernachlässigen Ihre eigene Bedürfnisse und alles was das Leben lebenswerter macht, obwohl dieser Weg nur in die Enttäuschung geführt hat.

Ein von der Sucht unabhängiges Leben für sich zu bewahren heißt nicht, den Suchtkranken im Stich zu lassen

Als Nahstehender oder Angehöriger eines suchtkranken Menschen können Sie zwar nicht helfen, doch einiges verändern, um sich aus suchtfördernden Verhaltensmustern zu lösen und den Betroffenen in die richtige Bahn lenken:

  • Erkennen Sie selbst, dass Sie der suchtkranken Person nicht helfen, solange diese alleine nicht die Abhängigkeit als Erkrankung ansieht. Sie als Co-Abhängig können den Abhängigen nur begleiten.
  • Auch Sie sind von der Krankheit betroffen und benötigen professionelle Hilfe. Eine Selbsthilfegruppe, Suchtberatungsstellen oder sonstige Beratungsstellen werden Sie dabei unterstützen.
  • Lassen Sie sich nicht länger misshandeln, weder psychisch noch physisch!
  • Setzen Sie sich und dem Suchtkranken konsequente Grenzen und sprechen Sie verbindlich die Folgen aus, wenn diese nicht eingehalten werden. Bedenken Sie, dass Ihre Abgrenzung nicht gegen die Person gerichtet ist, sondern gegen sein Suchtverhalten. Angekündigte Konsequenzen müssen auch durchgezogen werden, da es ansonsten mehr schadet als nutzt. Wenn Sie die Drohung, die Person zu verlassen aussprechen, dann nur, wenn es auch ernst gemeint ist.
  • Setzen Sie die alkoholkranke Person nicht unter Druck, da Sie damit die Person in die Suchtgefahr treiben!
  • Packen Sie eine Nottasche mit Sachen, Geld, Adresse und Telefonnummern, falls die unter Alkoholeinfluss stehende Person gewalttätig ist. Gehen Sie bei Gefahr weg, ohne es anzukündigen.

Im Umgang mit der alkoholkranken Person sollten Sie folgendes beachten:

  • Bleiben Sie immer ruhig und freundlich , wenn er oder sie betrunken nach Hause kommt.
  • Lassen Sie sich nicht provozieren und gehen Sie notfalls schweigend aus dem Zimmer oder verlassen Sie die Wohnung.
  • Lassen Sie die Person trinken, umso wahrscheinlicher wird er oder sie den individuellen Tiefpunkt erreichen.
  • Sprechen Sie mit der alkoholkranken Person über dessen Suchtverhalten nur wenn diese nüchtern ist. Weisen Sie die Person auf die Suchtberatungsstelle hin, aber überlassen Sie selbst der alkoholkranken Person, sich darum zu kümmern.
  • Nehmen Sie Kontakt zu anderen Menschen wieder auf, um aus der Verzweiflung und Isolation herauszufinden. So bewahren Sie sich Ihre Selbstachtung, stärken Ihre Eigenständigkeit und erlangen ein positives gesundes Lebensgefühl.
  • Vertuschen Sie das Alkoholproblem des Nahstehenden nicht mehr, sondern reden Sie offen mit Freunden, Familienangehörigen und Arbeitgeber darüber.
  • Hören Sie auf, sich selbst zu belügen und erkennen Sie das Suchtverhalten der nahstehenden Person als Tatsache.
  • Überwinden Sie Ihre eigenen Verlustängste gegenüber der alkoholkranken Person oder dem Arbeitsplatz.
  • Hören Sie auf zu helfen! Übernehmen Sie die Verantwortung nur für Ihr eigenes Leben und fangen Sie an, es zu gestalten. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Bedürfnisse. Dies bedeutet, für sich selbst gut zu sorgen – körperlich, geistig und seelisch. Fangen Sie ein Hobby an, um sich auf andere Gedanken zu bringen und arbeiten Sie an Ihrem persönlichen Wachstum. So rücken Sie immer mehr die alkoholabhängige Person aus dem Zentrum Ihres Denkens. Dies können Sie am besten mit therapeutischer Unterstützung bewältigen.
  • Erledigen Sie auch in Krisensituationen der alkoholkranken Person Ihre Dinge auf eine Weise, als gäbe es keine Krise. Sie sind für das Suchtverhalten nicht verantwortlich.
  • Finden Sie die eigene innere Stimme, die Ihnen hilft, die richtigen Gedanken und Kraft für das Durchhaltevermögen zu finden.

Anbei einige Anregungen für gesunde Gedanken. Suchen Sie sich einen aus, soweit es Sie anspricht und stimmig anhört:

  • Ich habe das Recht an mich zu denken und etwas für mich zu tun!
  • Ich bin an dem Alkoholismus der suchtkranken Person nicht schuld, auch wenn diese das behauptet!
  • Ich darf mich wohl fühlen, wenn ich gut für mich sorge!
  • Ich darf mir Zeit für mich nehmen!
  • Ich bin so wie ich bin in Ordnung!
  • Ich habe das Recht, mich und meine Kinder vor dem Suchtverhalten der nachstehenden Person zu schützen und alles für unser Wohl zu tun!
  • Ich darf langsam lernen und auch Fehler machen, denn alle Menschen machen Fehler!
  • Ich darf über den Alkoholismus mit jedem sprechen, wenn es mir hilft!
  • Ich darf mir bei Entscheidungen Zeit lassen, solange ich nicht weiß, was richtig für mich und meine Kinder ist!
  • Ich darf meine Wünsche und meine Bedürfnisse fühlen und sie als die größte Priorität setzen
  • Was die alkoholkranke Person sagt und meint, darf mich nicht verletzen!

Ob Ihr Familienmitglied den Weg aus der Alkoholabhängigkeit schafft, liegt nur in dessen Hand genauso wie Sie selbst Ihre eigene Verantwortung dafür tragen, sich aus der Co-Abhängigkeit zu lösen. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Durchhaltevermögen bei dieser Entscheidung!

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