Rechtsexperte warnt: „Präsidenten-Witze können teuer kommen“

Durchs Web rauscht die Wulff-Witze-Welle. Auf Facebook, Twitter, in Blogs oder Kommentaren der großen Nachrichten-Portale hinterlassen Bundesbürger teils originelle, teils lustige, teils boshafte Sprüche über Bundespräsident Christian Wulff. Der renommierte Strafverteidiger Udo Vetter warnt jedoch im Interview mit experto.de: "Einige dieser Witze können teuer kommen."

Für einen 45-jährigen Sachsen kam die Warnung zu spät: Gegen ihn war vor der Staatsschutzkammer des Landgerichtes Dresden bereits Anklage wegen "Verunglimpfung des Bundespräsidenten" erhoben worden. Er soll Ende 2010 auf Facebook ein Foto von Christian Wulff und seiner Frau Bettina veröffentlicht und dazu böse Kommentare geschrieben haben. Kurz vor Prozessbeginn zog der Bundespräsident überrachend seine vor einigen Monaten erteilte "Ermächtigung" zurück, der Prozess fiel aus. [Dieser Absatz wurde am 10.01.2012, 18 Uhr aktualisiert.]

Strafverteidiger Udo Vetter im Interview mit experto.de

experto.de: Was ist das Besondere an der Strafvorschrift "Verunglimpfung des Bundespräsidenten"?

Udo Vetter: Es handelt sich um einen Ehrenschutz, der über das Normale hinausgeht. Die Straftatbestände Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede sind dafür da, die Ehrverletzung von Menschen wie du und ich zu ahnden. Die Strafvorschrift  "Verunglimpfung des Bundespräsidenten" senkt nach herrschender Meinung die Schwelle zur Strafbarkeit.

experto.de: Es könnten also Sprüche strafbar sein, die bei meinem Nachbarn oder Chef noch unter die Meinungsfreiheit fallen würden?

Udo Vetter: So ist es. Ohnehin hat der Ehrenschutz in der deutschen Rechtsprechung ein viel größeres Gewicht als in einigen anderen Ländern wie den USA, wo der Meinungsfreiheit die höhere Priorität eingeräumt wird. Beim Bundespräsidenten verschiebt sich die Interessenabwägung noch mehr zugunsten des Ehrenschutzes.

experto.de: Wer kann ein Verfahren ins Rollen bringen?

Jeder. Zum Beispiel könnten Wulff-Anhänger Strafanzeige erstatten, wenn ihnen Wulff-Witze zu bunt werden. Polizei und Staatsanwaltschaft würden Ermittlungen einleiten. Zu einem Prozess kann es aber erst kommen, wenn der Bundespräsident seine Ermächtigung erteilt. Der Prozess in Dresden zeigt, dass der amtierende Bundespräsident das durchaus tut. Auch nach einem Rücktritt könnte er noch die Ermächtigung erteilen und so allzu bösen Kritikern Ärger verschaffen.

experto.de: Wann wurde zuletzt eine solche Anklage erhoben?

Udo Vetter: Nach meiner Kenntnis ist der Prozess in Dresden seit etwa 50 Jahren der erste dieser Art in der Bundesrepublik.

experto.de: Sind Ihrer Meinung nach bei aktuellen Wulff-Witzen oder Wulff-Sprüchen riskante Äußerungen dabei?

Einige. Zwar muss bei der Frage, ob eine Ehrverletzung vorliegt, immer die Situation berücksichtigt werden. In diesem Fall eine Situation mit vielen Zweifeln, die der Bundespräsident selbst zu verantworten hat. Wenn allerdings jemand Worte wie "Lügner" oder "Schnorrerkönig" gebraucht, wird es sehr kritisch. Selbst wenn sich zum Beispiel eine Lüge nachweisen lässt, kann ein Gericht immer noch zu dem Schluss kommen, dass man vorrangig die Ehre des Bundespräsidenten in Misskredit bringen wollte.

experto.de: Was droht bei einem Verfahren?

Udo Vetter: Die Mindeststrafe sind drei Monate Haft, eine Geldstrafe ist gar nicht vorgesehen. Selbst wenn das Verfahren eingestellt werden sollte, etwa weil der Bundespräsident doch keine Ermächtigung erteilt, sind äußerst unangenehme Erfahrungen möglich.

Bei Internet-Delikten, wie etwa einem üblen Scherz auf Facebook, steht sehr schnell die Hausdurchsuchung an, weil die Ermittler Beweismaterial wie den Computer sicherstellen wollen. Spätestens ab diesem Moment sollte man anwaltlichen Beistand dazuholen. Die Anwaltskosten werden aber auch bei einer Verfahreneinstellung nicht erstattet.

experto.de: Neben Witzen und Kommentaren kursieren im Internet zahlreiche Fotomontagen oder Videos, sogar satirische Postkarten zur Wulff-Affäre. Wie steht es damit?

Im Prinzip ist es das Gleiche wie mit Text. Wird die Ehre des Bundespräsidenten verletzt, droht Saures. Mit einer Besonderheit: Wird die satirische Postkarte als Kunst eingestuft, fällt sie unter die Kunstfreiheit. Die ist in Deutschland noch mehr wert als die Ehre des Bundespräsidenten. Wer also über den Bundespräsidenten ablästern möchte, sollte das möglichst originell mit deutlich satirischem Charakter tun. Satire darf alles.

Info Udo Vetter:

Der Fachanwalt für Strafrecht in Düsseldorf hat bundesweite Popularität mit seinem Internet-Tagebuch "Lawblog" erreicht: Jeden Tag lesen über 50.000 Menschen, was Udo Vetter aus seinem Alltag als Strafverteidiger berichtet. Der "Lawblog" wurde 2011 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. In Online- wie Print-Medien sowie Radio und TV ist der 47-Jährige als Rechtsexperte vor allem zu Themen des Rechts im Internet gefragt.