Brauchen Kinder Märchen oder moderne Kinderbücher?

Ein modernes Bilderbuch ist pädagogisch wertvoll, auf das Alter des Kindes abgestimmt und meistens sehr unterhaltsam. Brauchen Kinder heute überhaupt noch Märchen oder sind die brutalen Geschichten out? Um diese Frage zu klären, begeben Sie sich mit mir auf eine Zeitreise in Ihre Kindheit.

Warum Eltern Märchen lieben

Vor allem die Generation 50 plus gerät bei dem Thema Märchen ins Schwärmen. Kein Wunder, Eltern hatten früher wenig Zeit, um mit ihren Kindern zu spielen und die seltenen Vorlesestunden waren Kostbarkeiten. Auch Radio und Fernsehen boten kaum spannende Unterhaltung für Kinder. So ist es nicht verwunderlich, dass eine ganze Generation bei den Stichwörtern Märchen, Augsburger Puppenkiste oder den vorweihnachtlichen Sechsteilern wie Timm Taler ins kollektive Schwärmen gerät.

Meine Lieblingsgeschichte aus meiner Kindheit ist „Mio, mein Mio“ von Astrid Lindgren. Damals hörte die ganze Familie jeden Sonntag eine Kindergeschichte im Radio und wir Kinder wärmten unsere Füße immer an dem Kachelofen. Als Pferdenärrin verliebte ich mich unsterblich in den Schimmel Miramis, noch heute für mich der Inbegriff von heilem Familienleben und Geborgenheit.

Wenn Sie in Ihre Kindheit zurückgehen, finden Sie bestimmt ähnliche Situationen. Hat Sie die Geschichte des Märchens fasziniert, war es die gemütliche Atmosphäre oder die kostbare Zeit zu zweit mit dem vorlesenden Elternteil, die Ihre Erinnerungen sentimental färben?

Was für Märchen spricht

Märchenerzählungen haben einen besonderen Reiz, der kleine und große Zuhörer in den Bann zieht. Beginnt die Geschichte mit den magischen Worten „Es war einmal“, gibt es für die guten Hauptpersonen nach dramatischen Erlebnissen garantiert ein Happy End. Der stets gleichbleibende Verlauf der Märchen fördert eine positive Lebenseinstellung.

Kinder sind in der Lage, Märchen zu abstrahieren und sie gruseln sich mit dem Wissen, dass die Geschichten nicht real sind. Mit ihrer alten Sprache sind Märchen eine wunderbare Ergänzung zu unserer modernen Sprachwelt. Ganz besonders leben Märchen von der Erzählsituation und dem Gefühl der Geborgenheit, das sich beim Vorlesen einstellt.

Fazit: Wenn die Kinder die Begeisterung ihrer Eltern teilen, lesen Sie Ihnen unbedingt Märchen vor.

Was gegen Märchen spricht

Geschichten für Kinder sind wichtig, weil sie die Fantasie anregen. Brauchen Kinder aber unbedingt Märchenerzählungen, wie es der amerikanische Kinderpsychologe Bruno Bettelheim fordert? Nein, ganz sicher nicht. Es gibt so viele tolle Geschichten für Kinder, die alle aufgelisteten Vorteile ebensogut erfüllen. Ich habe festgestellt, dass sich vor allem Jungen mit den realistischen Szenarien in modernen Kinderbüchern besser identifizieren können als mit der urtümlichen Märchenwelt. Nicht von ungefähr legen Autoren von Märchentrickfilmen den Schauplatz in die Neuzeit.

Fazit: Wenn Ihre Kinder sich nicht für Märchen begeistern, brauchen sie diese Geschichten auch nicht.

Lesen Sie Kindern vor

Die tägliche Vorlesezeit ist eine der schönsten Kindheitserinnerungen, die Sie ohne viel Aufwand Ihrem Kind schenken. Wenn Sie regelmäßig in einer geborgenen Atmosphäre Ihrem Kind vorlesen, ist die Wahl der Geschichte eher zweitrangig. Für Kinder unter sechs Jahren empfehle ich Bilderbücher. Zum Glück gibt es eine breite Auswahl an Kinderbüchern mit frechen, originellen Protagonisten. Leider gibt es in der Bilderbuchwelt nicht viele witzige Helden wie den Kater Findus oder den Raben Socke. Viele Verlage drucken pseudokindgerechte Geschichten, die die Welt in rosa Watte tauchen.

Märchen eignen sich ab fünf Jahren

Lesen Sie Märchen Kindern erst ab fünf Jahren vor. Ist ein Kind sehr sensibel, verzichten Sie auf grausige Geschichten wie Hänsel und Gretel. Auch die melancholischen Märchen von Hans Christian Andersen sind eine schwermütige Kinderlektüre und nur für ältere Märchenfans ab zehn Jahren geeignet. Neben Grimms Märchen empfehle ich Ihnen auch zu Märchenerzählungen aus anderen Ländern wie zum Beispiel Russland zu greifen. Eines der bekanntesten russischen Märchen ist „Väterchen Frost“.

Ich habe gerne die Bücher von Ottfried Preußler oder James Krüss vorgelesen. Diese Geschichten sind eine wunderbare Alternative zu Märchen und eignen sich durch die kurzen Kapitel zum Vorlesen. Und weil diese Klassiker trotz ihres Alters zeitlos sind, schaffen sie eine zauberhafte Verbindung zwischen Vorleser und Kind. Nehmen Sie sich Zeit, nach dem Vorlesen mit dem Kind über dessen Eindrücke zu sprechen.

Literaturvorschläge zum Lesen

Die vorgestellten Bücher eignen sich wunderbar zum Vorlesen, sind aber nur als Anregung gedacht. Stöbern Sie durch die Bücherei und entdecken Sie gemeinsam mit Ihrem Kind neuen Lesestoff. Gefällt Ihrem Kind das Thema und der Stil eines Buches, ist es auch ideal zum Vorlesen.

Märchen

Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm / Neuendorf, Silvio: Mein erstes Märchenbuch: Die schönsten Märchen der Brüder Grimm, Arena Verlag 2001.
ISBN-13: 978-3401081663

Russische Märchen – die bekanntesten Geschichten: Die schönsten Geschichten, Otus Verlag 2010. ISBN-13: 978-3905851656

Bilderbücher

Nordqvist, Sven: Die Findus- und Petterson-Bücher, Oetinger-Verlag.

Moost, Nele und Rudolpf, Annett: Das neue große Buch vom kleinen Raben Socke, Esslinger Verlag Schreiber 2010. ISBN-13: 978-3480227518

Bücher zum Vorlesen

Preußler, Otfried: Der Räuber Hotzenplotz, Thienemann Verlag, 58. Auflage 2005. ISBN-10: 3-522-10590-7

Krüss, James: Der Leuchtturm auf dem Hummerklippen, Carlsen Verlag 2006. ISBN-13: 978-3551355355

Kästner, Erich und Lemke, Horst: Die Schildbürger, Dressler Verlag 2006.
ISBN-13: 978-3791530406

Ende, Michael: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Thienemann Verlag 2007. ISBN-13: 978-3522176507

Bildnachweis: graustufen / stock.adobe.com