Charisma, Charme und Ausstrahlung: Wo sind die Unterschiede?

Hat Lena Meyer-Landrut Charme, Ausstrahlung oder Charisma? Und überhaupt, ist das nicht alles das Gleiche? Nein, erklärt Julia Sobainsky.

Charisma, Charme, Ausstrahlung – in den vergangenen Tagen wurde viel geschrieben über Lena Meyer-Landrut, die Siegerin des Eurovision Song Contest. Und immer wieder wurde die Frage gestellt: „Hat unsere Lena nun Charisma? Oder einfach nur Charme?“

Diese Diskussion bewegt mich dazu, etwas Licht ins Dunkel zu bringen und mal ein paar Unterschiede zwischen Charisma, Charme und Ausstrahlung herauszuarbeiten. Dafür müssen wir die Begriffe allerdings erst einmal definieren.

Charisma – die Gabe der Götter?

Die drei Chariten waren in der griechischen Mythologie die Göttinnen der Anmut und standen mit Aphrodite in Verbindung. Wir kennen die drei Chariten auch unter dem Singular Charis und den drei Grazien aus der römischen Mythologie.

Sowohl das Wort Charisma, als auch das Wort Charme gehen auf diesen Ursprung zurück. Das Wort „Charisma“ heißt übersetzt „Gnadengabe“, weil man davon überzeugt war, dass diese besondere Form der Ausstrahlung eine Gabe Gottes war. Heute wissen wir allerdings, dass Charisma erlernbar ist.

Ausstrahlen kann jeder. Charisma jedoch ist die Königsdisziplin

Ausstrahlung hingegen bedeutet, dass etwas von innen nach außen strahlt. Auch hier kann man also in der Praxis kaum auf billige Effekthascherei setzen. Gnadengabe Charisma, Charme der Göttinnen, Ausstrahlung aus dem Inneren: Was sind denn nun die Unterschiede?

Fangen wir bei Letzterem an. Ausstrahlung haben viele Menschen. Denn mit der Ausstrahlung transportiert sich der innere Zustand nach außen. Dies muss nicht unbedingt nur positiv sein. Denn es gibt durchaus auch eine negative Ausstrahlung, eine unangenehme, unsympathische Ausstrahlung.

Wer Charme hat, hat noch lange kein Charisma

Das Wort Charme ist hingegen ausschließlich positiv belegt. Einen negativen Charme kennen wir nicht. Charme hat jemand, dem andere Menschen schlecht widerstehen können. Wie der Dichter Albert Camus es beschrieb: „Charme ist die Kunst, als Antwort ein Ja zu bekommen, ohne etwas gefragt zu haben.“ Unter Charme verstehen wir ein einnehmendes Wesen, einen sympathischen Menschen, mit dem andere gerne ihre Zeit verbringen.

Charisma bewegt

Charisma hingegen geht über die anderen Begriffe hinaus. Charismatiker können Massen bewegen, viele Menschen in ihren Bann ziehen. Deshalb taugen sie zum Anführer, zum Politiker, zur Führungskraft. Charisma setzt eine Vision, ein Ziel voraus. Der Charismatiker ist in der Lage, mit seinem Charisma die Massen auf seine Vision einzuschwören. Menschen empfinden starke, intensive Gefühle, wenn sie mit dem Charismatiker konfrontiert werden. Dabei muss der Charismatiker keineswegs immer charmant sein.

Charisma und Inszenierung

Auch kann bei öffentlichen Auftritten des Charismatikers sein Charisma durch eine gute Portion Inszenierung unterstützt werden. Von seinen Anhängern wird dies kaum unterschieden. Ohnehin: Der Charismatiker wird als solcher eigentlich durch die Interaktion definiert. Für sich allein im stillen Kämmerlein dürfte das Charisma verpuffen, seine Wirksamkeit verlieren. Erst dadurch, dass seine Anhänger ihm das Charisma zuschreiben, entfaltet es seine Wirksamkeit.

Ist Charisma denn erlernbar?

Eine interessante Frage, die durchaus mit „Ja“ beantwortet werden kann. Damit befassen wir uns im nächsten Artikel.

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