Kompaktkurs Mentaltraining (6): Die Hauptkomponenten der Wirkung von Mentaltraining

Mentaltraining und ähnliche Methoden der Arbeit im Mentalbereich haben mindestens drei gemeinsame Komponenten der Wirkung: Entspannung, Imagination und Suggestion. Ihr Zusammenwirken ergibt das Organigramm des Mentaltrainings.

Das Organigramm des Mentaltrainings

1. Entspannung (RUHE)
Die erste Komponente des Mentaltrainings besteht in der Erreichung eines veränderten Bewusstseinszustandes, in dem der physische Körper entspannt und ein Zugang zu den inneren, geistigen Bereichen möglich ist. Auch bei einer Hypnose wird die betreffende Person zunächst in einen Zustand der Entspannung (Relaxation) geleitet. Ebenso konzentriert sich das Autogene Training (Selbst-Hypnose) auf diesen Wirkmechanismus.

1.1 Zeichen von Entspannung

Physiologische Prozesse:

  • abnehmende Muskelaktivität
  • sinkende Pulsfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck
  • sinkender Hautleitwert (Elektrodermale Reaktion)
  • steigende Hautoberflächentemperatur
  • Verminderung der sympathicoadrenergenen Erregungsbereitschaft

Hirnaktivität:
Im EEG ist eine Deaktivierung von Hirnaktivitäten im Bereich der Beta-Wellen festzustellen, während Alpha-Wellen und Theta-Wellen dominant werden.

Erleben:

  • Im Zustand der Entspannung empfinden wir Ruhe und tiefe Behaglichkeit.
  • Gegenüber Emotionen, insbesondere negativen, werden wir indifferent.
  • Entspannte Personen berichten von einer mentalen Frische.

Wahrnehmung:

  • Die Wahrnehmungsschwellen für äußere Reize werden erhöht. Es kommt nicht mehr so viel an uns heran. Gleichzeitig aber werden die Wahrnehmungsschwellen für innere Reize gesenkt.
  • Im Zustand der Entspannung sind Imaginationen besonders leicht verfügbar, sehr lebhaft und konkret. Schließlich ist die emotionale Repräsentanz einer Imagination dann besonders dominant.

2. Imagination (BILD)
Eine zweite Komponente des Mentaltrainings besteht in der Vorstellung (Imagination, Visualisierung). Die (Selbst-)Instruktionen müssen für die Person vorstellbar sein:

  • sinnlich (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten/Fühlen) und/oder
  • mental (mentales Schema: Sprache, Wissensassoziationen, Erfahrungshintergrund)

2.1 Mentale Schemata
Das Mentaltraining wirkt über mentale Schemata, über die wir Menschen für bestimmte Lebensthemen verfügen und danach funktionieren. Mentale Schemata sind geistige hierarchische Strukturen, Wissensstrukturen, logische Aussagen und Sätze, die zu einem bestimmten Wort im Bewusstsein vorhanden sind. Beispielsweise wird mit dem Wort "schneiden" gleichzeitig verbunden:

  • der Handelnde (jemand oder etwas, das schneiden kann),
  • das Objekt (alles, was geschnitten werden kann) und
  • das Instrument (alles, was in der Lage ist, etwas durchzutrennen).

2.2 Propositionen für mentale Schemata
Wenn ich beispielsweise das Wort "Schmerz" sage, dann wird im Gehirn sofort ein ganzes Schema bzw. Muster aktiviert, das ebenso aktiviert werden könnte, wenn ich einzelne Eigenschaften von Schmerz nennen würde. Ich könnte z. B. sagen: heiß, bohrend, quälend, Wunde, Bewegungsunfähigkeit, Chirurgie, Hilflosigkeit, Angst. Alle diese Wörter haben die Funktion von Propositionen für das mentale Schema "Schmerz".

Solche Schemata variieren zwischen den Menschen ebenso wie beim einzelnen Menschen. Z. B. aktiviert das mentale Schema "Liebe" bei Kindern andere assoziierte Wissensstrukturen als bei älteren Menschen. Das Schema "Liebe" wird auch im Zusammenhang eines Diskobesuches durch andere Merkmale aktiviert als im Kontext der Katholischen Kirche.

2.3 Repräsentationsebenen der mentalen Schemata
Diese gesamten mentalen Schemata haben unterschiedliche Repräsentationsebenen.

  • Auf der Sinnes-Repräsentationsebene suchen wir den Sinneseindruck nach Unterschied oder Überlappung zwischen vorgestellten und tatsächlichen Wahrnehmungsinhalten ab. Z. B.: Habe ich wirklich Schmerzen oder ist es nur unangenehm?
  • Auf der Sprach-Repräsentationsebene werden die Wahrnehmungsinhalte im Hinblick auf ihre symbolischen Aspekte bzw. Eigenschaften verarbeitet. Z. B.: Ist der Schmerz wirklich bohrend oder ist er eher stechend?
  • Auf der Wissens-Repräsentationsebene geht es um die Verfügbarkeit des Wissens über den gespeicherten Wahrnehmungsinhalt, d. h. der Erfahrungshintergrund des mentalen Schemas wird aktiviert. Das kommt z. B. darin zum Ausdruck, dass eine nicht-sprachliche Schmerzäußerung (etwa ein verzerrtes Gesicht) als ein Signal für andere Menschen eingesetzt werden kann und somit als Verstärker dient.
  • Auf der Verhaltens-Repräsentationsebene werden mit der Aktivierung des mentalen Schemas stets auch emotionale und/oder motivationale Begleitprozesse ausgelöst. So wird chronischer Schmerz stets auch an Angst gekoppelt sein, die Schmerzen könnten noch schlimmer werden oder die Behandlung könnte sich als unwirksam erweisen.

2.4 Mentale Schemata und Imagination
Ein bestimmter Erlebnisinhalt, welchen wir uns im Mentaltraining vorstellen, entspricht demzufolge auch solchen mentalen Strukturen. Im Zustand der Entspannung sind Imaginationen besonders leicht verfügbar, sehr lebhaft und konkret. Schließlich ist auch die emotionale Repräsentanz einer Imagination dann besonders dominant.

3. Suggestion (WORT)
Die dritte Wirkkomponente im Mentaltraining besteht in der Suggestion (Beeinflussung, einfließende Empfehlung). Personen sind unterschiedlich empfänglich für suggestive Reize. In diesem Sinne spricht man von Suggestibilität oder von Hypnotisierbarkeit. Darunter ist eine individuelle Fähigkeit (eine Verhaltensdisposition) zu verstehen. Suggestibilität ist dann besonders stark ausgeprägt, wenn eine Person auf suggestive Reize instruktionsgemäß und zeitnah reagiert. Bei der Wirkungskomponente "Suggestion" spielen im Mentaltraining motivationale und soziale Kontextbedingungen eine wichtige Rolle.

3.1 Arten der Beeinflussung
Der Begriff der "Suggestion" bezieht sich auf eine besondere Form der Reizdarbietung. Dabei können die Suggestionsreize oder besser Botschaften bzw. Empfehlungen direkt oder auch indirekt formuliert werden. Wir wissen heute noch nicht, wie und unter welchen Bedingungen Suggestion optimal ist.

  • Direkte Suggestion (wie z. B. bei der gestuften Aktivhypnose nach Ernst Kretschmar): Dann würde man sich selbst vielleicht unvermittelt etwas anweisen. Z. B.: "Ich konzentriere mich auf meinen Mund! Die Schmerzen im Mund sind weg! Sie sind einfach weg!" Eine verbreitete Formulierung von direkten Suggestionen im Mentaltraining sind Affirmationen (Selbstbekräftigungen) wie "Ich liebe mich so wie ich bin. Ich bin voller Selbstbewusstsein."
  • Indirekte Suggestionen (wie z. B. bei dem Vorgehen von Milton Erickson): Der mental Übende könnte dabei seine Suggestionen in Metaphern verkleiden. Dann würde er eine Geschichte erzählen, in der der Held Wärme nicht mehr spüren konnte, weil alles rings um ihn herum kalt, sehr kalt geworden ist. Insbesondere habe er die Kälte im Gesicht und da wiederum besonders an den Zähnen gespürt. Man kann solche indirekten Suggestionen spezifisch oder unspezifisch für Probleme bzw. Symptome geben.

4. Das Zusammenwirken der Komponenten
Bei einem fundierten Mentaltraining kommen alle drei Wirkkomponenten optimal zum Einsatz. Entspannung (Relaxation), Vorstellung (Imagination) und Beeinflussung (Suggestion) wirken gemeinsam miteinander. 

Effizientes Mentaltraining ist mit einem Schlitten vergleichbar: Je schwerer der Schlitten beladen ist, umso schneller fährt er im Schnee. D. h. jede Wirkkomponente (Entspannung, Vorstellung, Beeinflussung) führt zu konstruktiven mentalen bzw. heilenden Effekten.