Validationstechniken – Umdeuten macht es leichter

Herausforderndes Verhalten sieht je nach Phase der Demenzerkrankung anders aus. Manchmal wissen auch gut funktionierende Pflegeteams nicht mehr weiter. Das Anwenden von Validationstechniken ist kein Garant für ein verbessertes Wohlbefinden, aber häufig können ein sensibles Beobachten und ein gezieltes Umdeuten den Umgang erleichtern.

Will man die Auswirkungen der systematischen Anwendung von Validationstechniken auf demenzerkrankte Menschen messen, so lassen sich hinsichtlich der beobachtbaren Phänomene wie zum Beispiel Hinlauftendenz, Desorientierung und Agitation kaum gravierende Unterschiede feststellen. Tatsächlich werden zwar vielfach weniger beruhigende Medikamente aus der Gruppe der Psychopharmaka verordnet, vorherrschend aber erscheinen noch zwei andere Beobachtungen.

Veränderte Sicht auf das (störende) Verhalten der Demenzkranken

Klar ist: Die demenzkranken Menschen dürfen sein wie sie sind! Ihr Erleben im Hier und Jetzt wird wertgeschätzt und akzeptiert. Sie werden zu Personen, die unter erschwerten Bedingungen hinsichtlich Denkfähigkeit, Sprachkompetenz und Wahrnehmung zu leben haben. Dies wissend und würdigend ist der Umgang mit ihnen stets Herausforderung und ein Ringen des Teams um Verständnis.

Die wertschätzende Grundhaltung der Pflegenden ohne korrigierende und kritisierende Intervention lässt das Irren zu, da es menschlich ist. Die eigentliche Pflegearbeit setzt nicht bei Vernunft und Denken an, sondern bei den Gefühlen, den momentanen Befindlichkeiten und Antrieben des demenzkranken Menschen.

Niemand will dement werden, der Demenzkranke möchte nicht dement sein. Daher sind viele Verhaltensweisen unter dem Aspekt des (psychologischen) copings allzu verständlich. Und so lassen sich im Anfangsstadium der Demenz die klassischen, menschlichen Bewältigungsstrategien immer wieder gut beobachten. Bagatellisieren, Verleumden, Vertuschen, auf andere projizieren, Fehler anderen unterschieben, all das sind – wenn wir ehrlich sind – ganz normale Reaktionen, mit denen ein Bloßstellen oder gar der Verlust der eigenen Identität und Persönlichkeit zu verhindern versucht wird. Analogien (zum eigenen Er-Leben) lassen sich leicht finden und ein Nachempfinden (Empathie) fällt leichter.

Störungen bekommen einen Bedeutungsrahmen

Auf Seiten der Pflegenden wird die Wahrnehmungskompetenz für die emotionalen Signale und die Symbole für Erleben und für die Phasen der Krankheitsbewältigung deutlich gestärkt. Diese Sensibilität und die Empfänglichkeit für das Erleben und die Bedeutung von Symbolen verändern bei den Pflegenden sehr oft die Sichtweise. Sie nehmen das (störende) Verhalten anders wahr. Die Reflexion im Pflegeteam kann einem bislang unerklärlichem Verhalten einen Sinn geben.

Und obwohl sich mittels gelernter und angewandter Validationstechniken nicht immer etwas verändert, so bewirkt es doch etwas im Kopf und im Herzen der Pflegenden; ihre Einstellung verändert sich und macht es leichter, den Kontakt zum Bewohner zu halten und gegebenenfalls die Beziehung besser zu gestalten. Das sonst so störende Verhalten erhält einen neuen Bedeutungsrahmen, der dem Pflegeteam den Pflegealltag erleichtert. Voreingenommenheiten werden gewissermaßen reflexiv herausgearbeitet.

Validation ist weniger eine Therapie (für Demenzkranke) als vielmehr ein Suchen nach Umgangsempfehlungen und nach Bedeutung. "Es muss Sinn machen!"

Fallbeispiel

Eine  alte Dame in der dritten Phase der Demenzerkrankung ruft immer wieder laut und störend eine vierstellige Nummer. Neben einigen Bewohnerinnen sind vor allem die Pflegekräfte irgendwann vollkommen genervt. Viele Versuche, auf die Dame einzugehen und sie zu beruhigen oder abzulenken, sind gescheitert. Auch Veränderungen der Sitzposition im Wohn- Essbereich sind fehlgeschlagen. Das Team ist "mit dem Latein am Ende".

Im Rahmen einer Bewohnerbesprechung erfahren die Pflegenden, dass die alte Dame lange Jahre erfolgreich als Chefsekretärin gearbeitet hat. Darüber hinaus war sie in der Gemeinde viel in Vereinen tätig und liebte die Geselligkeit. Bevor sie in die Einrichtung kam, lebte sie noch lange in ihrer eigenen Wohnung. Es stellt sich heraus, dass ihre Betreuerin sie gelegentlich besuchte und oft mit ihr telefonierte. Tatsächlich ist die vierstellige Nummer die Telefonnummer der Betreuerin.

Das Team weiß, dass die Bewohnerin langsam den Kontakt zu ihrem eigenen Körper verliert. Sie spürt sich immer weniger und kann auch die Umgebungsreize nicht mehr richtig  einordnen. (Phase 3) Es weiß, dass die Dame gerne über den akustischen Kanal kommuniziert (hat).

Als Chefsekretärin musste sie vielfach akustische Informationen aufnehmen und vermitteln. Ihre private und berufliche Welt war vom Gespräch dominiert. Die Telefonnummer der letzten Vertrauensperson immer wieder laut zu rufen, ist ihre Form der Bewältigung. Nur so kann sie sich noch selbst spüren und ihre Identität aufrechterhalten. Sie stimuliert gewissermaßen sich selbst, um sich zu spüren und in Verbindung mit dem letzten Rest von etwas Vertrautem zu bleiben.

Das Team deutet gewissermaßen das (störende) Verhalten um und sieht sogar etwas für die Person Positives (Ressource) darin. Dieser neue Bedeutungsrahmen macht es den Pflegenden leichter, mit dem ständigen Rufen umzugehen und sie sind nun kreativer in dem Versuch, nach neuen Lösungen zu suchen.