Tom Kitwood – Möglichkeiten positiver Beziehungsgestaltung

Tom Kitwood hat zwölf verschiedene Ansätze für eine positive Beziehungsgestaltung beschrieben. Diese dienen dem Ziel, über eine wertschätzende Grundhaltung Beschämungen zu vermeiden und dem demenzkranken Menschen zu helfen, die Integrität seiner Person möglichst aufrecht zu erhalten oder immer wieder neu herzustellen. Was bedeutet das für Sie in der Praxis?

Begegnungskultur

Im Hinblick auf die Demenzpflege hat es Tom Kitwood geschafft, uns (pflegenden) Menschen wieder den wahren Sinn des Menschsein in einer Abhängigkeitsbeziehung näher zu bringen. Nicht allein Leistungsfähigkeit und Autonomie sind da besondere Qualitäten. Vielmehr wird jedem Menschen unabhängig von seiner (kognitiven) Leistungsfähigkeit und seinem Nutzen für die Gesellschaft ein Wert zugestanden, der weit darüber hinaus das eigentlich Menschliche unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ausmacht.

Die vorbehaltlose Annahme eines jeden Menschen und das Anerkennen seines Personseins stehen dabei im Mittelpunkt. Ob wir andere Menschen, d. h. also auch zu pflegende, demenzkranke Menschen, den Status als Person zuerkennen, hängt dabei sehr davon ab, wie wir ihm begegnen.

Daher spielt das DCM (Dementia Care Mapping) eine wesentliche Rolle beim personenzentrierten Ansatz. Bei diesem Verfahren werden systematisch die Art der Begegnung gezählt und gewertet. Aus den Ergebnissen lassen sich Rückschlüsse ziehen im Hinblick auf eine verbesserte "Begegnungskultur".

Erleben im Hier und Jetzt

Wenn wir die Demenzerkrankung nicht heilen können, dann ist es umso wichtiger, danach zu forschen, wie wir Beziehung gestalten können, und zwar so, dass alle dabei gewinnen können. Und genau darin liegt der Kern des personenzentrierten Ansatzes. Anerkennen und Wertschätzen des Erlebens und der Person im Hier und Jetzt ohne bevormundende Haltung ist gefragt. Wir wissen: Wir können nicht die Krankheit heilen, sondern nur die Person, so wie sie hier und jetzt ist, annehmen und versuchen, die Beziehung pflegefachlich so zu gestalten, dass nicht noch mehr Leidensdruck entsteht.

Besser mit herausforderndem Verhalten umgehen

Dabei ist ebenso wichtig, auf sich selbst zu achten und seine eigenen Gefühle – wie die des Demenzkranken wahr und ernst zu nehmen. Kitwood glaubte darüber hinaus, dass über eine entsprechende Gestaltung der Beziehungsaktivitäten, sogar eine Verbesserung (kognitiver) Leistungen möglich sei.

Ich würde da nicht so weit gehen. Aber sicher können wir Pflegende durch Kitwoods Methoden deutlich besser mit herausforderndem Verhalten umgehen und zu einem verbesserten Wohlbefinden beim demenzkranken Menschen beitragen.

Im Kontext pflegerischer Arbeit und betreuender Tätigkeiten empfiehlt Kitwood folgende 12 Aktivitäten, die besonders geeignet sind, Beziehung positiv zu gestalten.

1. Anerkennen als Person: Entscheidend ist hier die gewollte Zuwendung durch freundlichen Blickkontakt oder Grüßen und das Bemühen, aktiv zuzuhören.

2. Verhandeln: Verhandeln kann ich nur mit jemandem, den ich als gleichberechtigt anerkenne. Die Begegnung findet auf gleicher Augenhöhe statt und unterschiedliche Sichtweisen stehen gleichberechtigt nebeneinander und im Bedarfsfall gilt das Ergebnis des Aushandlungspozesses. Entscheidend ist dabei der Verhandlungsprozess, der gegebenenfalls immer wieder neu begonnen werden muss, wenn der Demenzkranke das Ergebnis vielleicht wieder vergessen hat.

3. Zusammenarbeiten: Das bedeutet, dass keine Handlungen an ihm vorgenommen werden, ohne dass er Einverständnis oder Mitwirkungsbereitschaft signalisiert. Vielmehr geht es darum, seine Bedürfnisse zu erfragen und mit ihm gemeinsam notwendige Pflegehandlungen vorzunehmen.

4. Spielen: Das gemeinsame Spielen ist eine hervorragenden Gelegenheit, Beziehungen und Vertrautheit aufzubauen, der Spontaneität und Lebensfreude Ausdruck zu verleihen und den anderen möglichst authentisch zu erleben.

5. Timalation: Im fortgeschrittenen Stadium der Demenzerkrankung wird die kommunikative Verständigung immer schwieriger. Hier kann über sensorische Zugangswege würdigend stimulierend die Beziehung gestaltet werden, z. B. durch Basale Stimulation®, Snoezelen oder durch die Begegnung mit Tieren. Hierzu machen Pflegende aktiv Angebote und beobachten die Reaktionen, auf deren Basis sie weitere Interventionen planen.

6. Feiern: Bei dieser Aktivität, die Pflegende häufig intuitiv anwenden, wird die Trennung zwischen Mitarbeitern und demenzkranken Menschen aufgehoben. Es entsteht ein Gefühl der Nähe und Gleichheit zwischen Betreuten und Betreuern und es lassen sich biografische und strukturierende Ansätze kombinieren.

7. Entspannen: Um emotionale Anspannungen zu lösen und dadurch auch manchmal besseren, kommunikativen Zugang zu gewinnen, können durch gezielten Körperkontakt z. B. durch Arm- und Handmassagen, therapeutic touch oder Basale Stimulation® Verbesserungen des Wohlbefindens erzielt werden.

8. Validation: Das vorbehaltlose Akzeptieren der "subjektiven Wirklichkeit" des Demenzkranken von Seiten des Pflegenden entspringt einer Grundhaltung, die gelten lässt, auch wenn die Äußerungen vom Normalen abweichen und einem Verstehen nur schwer zugänglich sind. In der gemeinsamen Reflexion und im Rückgriff auf biografisches Wissen besteht eine große Chance zum Verständnis.

9. Halten: Wenn Menschen spüren, dass ein anderer Mensch Trost braucht, dann sieht man häufig, dass sie in den Arm genommen und eine Zeit lang gehalten werden. So kann in und nach emotional belastenden, schwierigen Situationen Halt gefunden werden, so dass sie leichter zu (er)tragen sind.

10. Erleichtern: Durch gezieltes Fragen oder bestimmte Antworten können Pflegende dem demenzkranken Menschen stimmige Bedeutungen oder neue Rahmen (reframing) angeboten werden, die das Aushalten und Verarbeiten von negativ empfundenen Erlebnissen erleichtern.

11. Schöpferisch sein: Spontane Äußerungen oder Reaktionen auf Aufforderungen wie z. B. zum Tanzen oder an der Biografie orientierte Aktivitäten wie Malen, Musik machen und vieles mehr können zum Ausdruck von Lebensfreude werden.

12. Geben: Der Person mit Demenz ermöglichen, dass sie Besorgnis, Zuneigung, Dank oder Hilfe zum Ausdruck bringen kann. Ein kleines Geschenk provoziert Dankbarkeit, die gerne geäußert werden kann und das Erleben bereichert.

Im pflegerischen Alltag findet sich eigentlich immer eine Gelegenheit, aus diesem Aktivitätenpool auszuwählen und sie anzuwenden. Versuchen Sie es! Es wird auch Ihnen viel (zurück) geben.