Immobilität – das unterschätzte Risiko

Die Gefahren im Zusammenhang mit der Immobilität von älteren Menschen werden noch weitestgehend unterschätzt. Systematisches Assessments und phasengerechte Interventionen zur Vermeidung des Bettlägerigwerdens könnten besser entwickelt sein. In Anlehnung an die Studien von Dr. Angelika Abt-Zegelin gibt dieser Artikel acht praxisnahe Empfehlungen.

Neben der Inkontinenz, dem Intelligenzabbau und der allgemeinen Instabilität durch Infekte ist die Immobilität eine der großen pflegerischen Herausforderungen und gehört zu den großen vier geriatrischen Is. Immer mehr Studien legen den Schluss nahe, dass vor allem zunehmende Immobilität die bekannten Risiken im Zusammenhang mit dem Älterwerden und drohender Pflegebedürftigkeit befeuert. In den pflegerischen Assessments werden Sturz, Schmerz, Kontinenzstatus und Ernährungsprobleme gelistet, aber der Erhalt oder gar die Verbesserung der Mobilität steht merkwürdigerweise nicht in gleicher Weise im Fokus. Dabei hängen fast alle pflegerisch relevanten Aktivitäten damit zusammen und bedingen das Ausmaß von Hilfebedürftigkeit und Wohlbefinden der älteren Menschen. Ein höheres Maß an Mobilität und ein Mehr an Bewegung im Alltag verbessert nicht nur Stimmung und Wohlbefinden, sondern erwiesenermaßen auch die Kognition und geistige Leistungsfähigkeit – auch bei Demenzkranken. In dem Gefühl von zunehmender Abhängigkeit und aus Angst vor Stürzen reduzieren bewegungseingeschränkte Menschen ihre Eigenbewegungen immer mehr und geraten darüber in einen gefährlichen, abwärtsspiraligen Teufelskreis, an dessen Ende nicht selten die Bettlägerigkeit steht.

In der Pflegedokumentation werden bestimmte Risiken und der Hilfebedarf erfasst und angegangen, aber hinsichtlich der Mobilität gibt es kaum aussagekräftige Hinweise zum prämorbiden Status der Bewohner. Gerade im Rahmen der Heimaufnahme wäre eine genauere Beschreibung der Bewegungsmöglichkeiten aber wichtig, um den Prozess besser gestalten zu können. Hier könnte die Zusammenarbeit mit Physio- oder Ergotherapeuten unterstützend wirken. Aber auch Tests wie der Timed up&go könnte das Assessment bereichern.
Dr. Angelika Abt-Zegelin hat den Prozess des Bettlägerigwerdens in einer Studie nachgezeichnet und dabei fünf Phasen identifiziert:
1. Phase: Instabilität
z.B. durch Gangunsicherheit, Umzug in eine ungewohnte Umgebung, Depression
2. Phase: Ereignis
z.B. Krankenhausaufenthalt, Sturz, Infekt
3. Phase: Immobilität im Raum
z.B. aufgrund insgesamt weniger Eigenbewegung, höherem Hilfebedarf, weniger Kontakten
4. Phase: Ortsfixierung
Eigene Transferleistungen z.B. vom Rollstuhl ins Bett etc. gelingen nicht mehr ohne Hilfe. Innerhalb von etwa 18 Monaten geraten etwa 30 bis 50 % der Heimbewohner in diese Phase! Die Bewohner sprechen auch von einem Gefühl des -žFestgenageltseins-œ.
5. Phase: Bettlägerigkeit
Hier können je nach Liegedauer eine leichte, mittlere und schwere Form unterschieden werden.

Pflegeteams sollten besonders achtsam sein. Gerade in der Phase der Eingewöhnung oder Wiedereingewöhnung (Ereignis nach einem Krankenhausaufenthalt) ist es besonders förderlich, neben der Ressourcenerhebung möglichst viele unterschiedliche Bewegungsanreize zu geben. Aber auch in der Phase eingetretener Bettlägerigkeit sind jenseits von Erhaltungszielen noch Maßnahmen möglich, die den Prozess rückgängig machen oder verzögern können.