Mein Körper gehört mir

Viele Menschen haben als Erwachsene das Gefühl, dass sie Nähe und Sexualität nicht so genießen können, wie sie es sich wünschen. Neben anderen Faktoren ist ein gutes Körpergefühl eine Grundvoraussetzung dafür. Das lernen Kinder in der Familie. Wie können Sie Ihrem Kind vermitteln: "Mein Körper gehört mir?"

In unserer Kultur trennen wir Körper und Seele gern voneinander. Der Körper wird manchmal als Haus beschrieben, das wir bewohnen dürfen und diese Symbolik lässt sich ja auch sehr schön entwickeln. Kinder aber empfinden lange keinen Unterschied zwischen sich und ihrem Körper: Sie haben keinen, sie sind ihr Körper.

Jedes Erlebnis ist tiefgreifend und absolut. Ein Baby muss erst viele, viele Male die Erfahrung machen, dass es zuverlässig und regelmäßig gefüttert wird, damit es nicht völlig verzweifelt, wenn das Hungergefühl es überkommt. Kleinkinder brauchen oft Jahre, bis sie gelassener damit umgehen können,  wenn sie sich wehtun. Unwohlsein, Schmerz, Hunger, Durst, Langeweile – das alles findet bei Kindern starken körperlichen Ausdruck.

Bezeichnenderweise machen sich Stress und Angst bei Erwachsenen nicht selten in Form von Kopfschmerz bemerkbar, während  Kinder in solchen Situationen eher über Bauchweh klagen. Das Unwohlsein kommt also eher aus der Körpermitte. Das könnte man so übersetzen, dass der Stress nicht verstandesmäßig (Kopf) sondern gefühlsmäßig (Bauch) ausgedrückt und bearbeitet werden will. Gegen das Bauchweh hilft dann häufig mehr eine Auszeit mit entspanntem Kuscheln, als Kamillentee und Zäpfchen.

Kinder trennen nicht sofort zwischen Körper und Seele

Kinder sind also über den Körper leicht erreichbar. Ein Kind, das viel Kuscheln und Schmusen darf, das jederzeit die Distanz zu Mama und Papa mitbestimmen darf, wird also schneller souverän und selbstsicher mit seinen Gefühlen und seinem Körper umgehen als andere.

Das wird sich auf seine späteren intimen Kontakte deutlich positiv auswirken. Darin, sich nicht zu etwas überreden zu lassen, was es eigentlich nicht möchte. Wünsche zu spüren und in der Lage zu sein, sie dem Partner einfühlsam zu vermitteln usw. Die Kunst für uns als Eltern besteht darin, Situationen richtig einzuschätzen: In den Kontakt zu gehen, wenn das Kind es braucht und uns wieder zurückzuziehen, wenn das nicht mehr notwendig ist.

Ein Beispiel:

Marie kennt die Freundin ihrer Mutter aus der fremden Stadt noch nicht. Diese ist begeistert von der Süßen und möchte sie am liebsten gleich knuddeln und sehen, wie sie sich über das Mitbringsel freut. Aber Marie versteckt sich hinter Mama und klammert sich an ihren Arm.

Diese lässt sie in Ruhe und zieht die Freundin in ein Gespräch. Marie beobachtet Mutter und Freundin genau und erfühlt die Stimmung zwischen den beiden. Nach einer halben Stunde wagt sie sich immer mehr vor und am Ende des Nachmittags liest sie das mitgebrachte Bilderbuch sogar auf dem Schoß der Freundin.

Noch sensibler wird der Umgang mit dem Kind, wenn es um Körperpflege und medizinische Versorgung geht

Wie können wir Kindern die Möglichkeit geben körperliche Selbstbestimmung zu erlernen, ohne Notwendiges zu unterlassen? Denn Hand aufs Herz: Wenn es darum geht, sich vorm Zähneputzen zu drücken, die Haarbürste lieber im Schrank zu lassen, die Vorhaut beim Waschen vorsichtshalber nicht zurückzuschieben oder das Fieberzäpfchen mit martialischem Gebrüll zu verweigern, sind die meisten Kinder ganz groß.

Papier oder hier besser: der Bildschirm ist geduldig, wir Eltern sind es häufig nicht. Außer Ruhe und Beharrlichkeit, bis wir mit zunehmendem Alter auf etwas Einsicht von Seiten des Kindes hoffen dürfen, gilt es kreativ zu werden:

  • vielleicht funktioniert es, nicht das Zähneputzen, sondern die Zahnpasta zum gemeinsamen Gegenstand der Überlegung zu machen. Welche Zahnpasta schmeckt gut?
  • vielleicht gelingt es, Alternativen zu finden. Medikamente gibt es oft in unterschiedlichen Darreichungsformen, also nicht nur als Zäpfchen, sondern mit der gleichen Wirkung auch als Tablette oder Saft.
  • vielleicht hilft es, einen anderen Rahmen zu schaffen: Abtrocknen im Bett, statt auf den kalten Badezimmerfliesen oder Baden mit der Benjamin-Blümchen-Kassette, als Untermalung.
  • und fast immer funktioniert „selber machen“. Auch, wenn sie bei kleineren Kindern noch nacharbeiten müssen, ist das ja ohnehin das erklärte Ziel: Für seinen eigenen Körper zuständig zu werden und das gern zu tun.
  • und wenn sie sich von ihm zeigen lassen, wie es sich wünscht, dass Sie mit seinem Körper umgehen sollen, haben Sie noch gleichzeitig etwas für seine und Ihre eigene Beziehungskompetenz getan.

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