Kündigung wegen Bagatelldiebstahls: Das gilt nach „Emmely“

In den Jahren 2009 und 2010 hat es eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen zum Thema Kündigung wegen Bagatelldiebstahl gegeben. Die Arbeitsgerichte mussten sich damit auseinandersetzen, ob eine Kündigung auch möglich ist, wenn ein Arbeitnehmer lediglich geringwertige Sachen für sich verwendet, unterschlagen oder gestohlen hat. Den vorläufigen Höhepunkt stellt in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Juni 2010, 2 AZR 541/09, dar.

Eine unter dem Pseudonym Emmely bekannt gewordene Kassiererin war gekündigt worden, weil sie entgegen einer Betriebsanweisung Pfandbons im Wert von 1,30 für sich verwendete. 

Kündigung wegen Bagatelldiebstahls: Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hielten die daher ausgesprochene Kündigung wegen Bagatelldiebstahls für berechtigt. Emmely rief daraufhin das Bundesarbeitsgericht an. Dieses verwarf die Kündigung am 10. Juni 2010.

Das Gericht legt allerdings Wert darauf, dass nach wie vor eine Kündigung wegen Bagatelldiebstahls grundsätzlich möglich ist. Daran hat auch Emmely nichts geändert. Die Richter betonten, dass eine vorsätzliche Vertragsverletzung durch den Arbeitnehmer auch dann eine Kündigung rechtfertigen könnte, wenn der dadurch ausgelöste wirtschaftliche Schaden gering sei.

Kündigung wegen Bagatelldiebstahls: Auf die Interessenabwägung kommt es an
Grundlage für eine fristlose Kündigung ist, dass ein wichtiger Grund vorliegt. Eine pauschale Festlegung für die Kriterien eines solchen "wichtigen Grundes"  ist nicht möglich. In jedem Einzelfall ist zu ermitteln, ob ein wichtiger Grund vorliegt. Nach dem Gesetz geschieht dies unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile.

Und genau diese Abwägung sah das BAG bei der Kündigung wegen Bagatelldiebstahls im Fall Emmely für nicht ausreichend vorgenommen. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls wäre eine Abmahnung ausreichend gewesen. Da die Kündigung grundsätzlich nur das letzte Mittel sein darf und die erforderliche Abmahnung fehlte, haben die Richter konsequenterweise die Kündigung gekippt.

Diese Kriterien müssen Sie bei der Interessenabwägung bei einer Kündigung wegen Bagatelldiebstahl zu berücksichtigen
Die Richter führten in ihrer Entscheidung eine Reihe von Aspekten auf, die bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet für Sie als Arbeitgeber, dass Sie sich mindestens an diesen Kriterien orientieren sollten, wenn Sie eine Kündigung wegen Bagatelldiebstahl aussprechen wollen. Andernfalls besteht das Risiko, dass die Kündigung vom Arbeitsgericht verworfen wird. Folgende Gründe hat das Gericht genannt:

  • Umfang des beschädigten Vertrauens
  • Das vom Arbeitnehmer bisher erworbene "Vertrauenskapital"
  • Das Interesse des Arbeitgebers an der Einhaltung seiner Anweisungen
  • Die Höhe des wirtschaftlichen Schadens.

Die Richter stellen ausdrücklich fest, dass eine abschließende Aufzählung dieser Kriterien nicht möglich ist. Sie betonten auch, dass insbesondere im Einzelhandel ein besonderes Interesse des Arbeitgebers daran bestehe, dass auch vergleichsweise geringwertige wirtschaftliche Schäden nicht akzeptiert werden. Zu groß ist die Gefahr, dass durch eine Vielzahl von geringwertigen Schäden doch insgesamt ein hoher wirtschaftlicher Schaden auftritt.

Bei der Kündigung wegen Bagatelldiebstahl im Fall Emmely sahen die Richter insbesondere das bisher von der gekündigten Arbeitnehmerin erworbene Vertrauenskapital nicht ausreichend berücksichtigt. Die über drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störungen verlaufene Beschäftigung, durch die sich die Klägerin ein hohes Maß an Vertrauen erwarb, war vom Arbeitgeber nicht ausreichend berücksichtigt worden. Alleine aus diesem Grund ist die Kündigung wegen Bagatelldiebstahls im Fall Emmely vom BAG gekippt worden.

Fazit: Die BAG Richter haben noch einmal betont, dass in jedem Fall die Interessenabwägung erforderlich ist. Das gilt auch bei einer Kündigung wegen Bagatelldiebstahls. Gleichzeitig haben sie sich gegen pauschale Regelungen entschieden und die Notwendigkeit betont, im Einzelfall zu entscheiden. Indirekt hat sich das BAG damit gegen die politische Diskussion über die Frage von möglichen Bagatellgrenzen ausgesprochen.