Wann Sie wegen Alkoholsucht kündigen dürfen – und wann nicht

Entgeltfortzahlung müssen Sie nur bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit leisten. Die Frage des Verschuldens ist aber gerade bei Alkoholsucht so eine Sache, insbesondere wenn es um einen Rückfall geht. Das BAG hat jetzt entschieden, wann bei einem Rückfall ein Verschulden vorliegt und welche Möglichkeiten Sie als Arbeitgeber haben, um die Entgeltfortzahlung verweigern zu können.

Nach § 3 Abs. 1 Satz EFZG braucht Ihr Unternehmen keine Entgeltfortzahlung leisten, wenn die Arbeitsunfähigkeit verschuldet ist. Grundsätzlich ist Alkoholsucht eine Krankheit, sodass viel dafür spricht, dass eine durch die Alkoholsucht bedingte Arbeitsunfähigkeit unverschuldet ist.

Nach Auffassung des BAG (Urteil vom 18.03.2015; Az.: 10 AZR 99/14) ist eine Arbeitsunfähigkeit nur dann im Sinne des EFZG verschuldet, wenn der Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehle es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.

Hohe Anforderungen an den Grad des Verschuldens

Das klingt aus Arbeitgebersicht erst einmal sehr hart, zumal, wenn man sich den zugrundeliegenden Sachverhalt anschaut. Ein Mitarbeiter war seit 2007 bis zum 30.12.2011 beschäftigt. Am 23.11.2011 wurde er mit einer Alkoholvergiftung und einem Blutalkoholgehalt von 4,9 Promille in ein Krankenhaus eingeliefert. Anschließend war er rund 10 Monate arbeitsunfähig erkrankt.

Vor diesem Vorfall hatte sich der Mitarbeiter zwei stationären Entzugstherapien unterzogen. Es kam immer wieder zu Rückfällen, sodass die Therapie offensichtlich ohne Erfolg geblieben war. Der Arbeitgeber ging nun davon aus, dass ein Verschulden bei einem Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen sei.

Den Richtern am BAG reichte das gleichwohl nicht aus. Nach ihrer Auffassung liegt regelmäßig kein Verschulden vor, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig wird. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse könne nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden.

Die Entstehung der Alkoholsucht sei vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Lasse sich nicht eindeutig feststellen, dass die Arbeitsunfähigkeit verschuldet war – etwa weil ein Ursachenbündel hierfür vorliege – gehe dies zulasten des Arbeitgebers.

Dies gelte im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie.

Hintertür für Arbeitgeber offen gelassen

In der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts bleibt jedoch eine Hintertür für Sie offen. Die Richter führten aus: "In Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat."

Das Risiko, dass sich das Verschulden nicht eindeutig belegen lässt, tragen zwar Sie, aber einen Versuch kann es wert sein. Sie müssen dann im Prozess das Verschulden ausdrücklich behaupten und die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu der Frage des Verschuldens anregen. Das gilt insbesondere dann, wenn Sie außer der Tatsache des Rückfalls weitere Anhaltspunkte für ein Verschulden haben.

Je nach Einzelfall kann das z. B. die Teilnahme an Kneipenabenden oder eine vorherige Ankündigung des Arbeitnehmers sein.

Wichtig: Neben der Frage des Verschuldens und damit der Entgeltfortzahlung kann auch eine mögliche krankheitsbedingte Kündigung in Frage kommen. Hierzu sollten Sie sich im Einzelfall beraten lassen.