Leichtsinn des Arbeitnehmers befreit Sie nicht von Entgeltfortzahlung

"Wie kann man nur so leichtsinnig sein? Und jetzt muss ich auch noch Entgeltfortzahlung leisten!" Haben Sie das auch schon einmal gedacht, wenn ein Arbeitnehmer sich verletzt hat und deshalb arbeitsunfähig ist? Das Gesetz ist eigentlich klar: Hat der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit verschuldet, müssen Sie keine Entgeltfortzahlung leisten. Aber wo liegt die Grenze?

Grundsatz: Keine Entgeltfortzahlung bei Eigenverschulden

§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) schreibt vor, dass der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung zu leisten hat, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist, "ohne dass ihn ein Verschulden daran trifft".

Wann liegt Verschulden n der Arbeitsunfähigkeit vor?

Über die Frage des Verschuldens streiten sich naturgemäß Arbeitnehmer und
Arbeitgeber immer wieder einmal. Das LAG Köln hat am 19. April 2013 (Az.: 7 Sa 1204/11) dazu entschieden, wann ein Verschulden vorliegt. Grob zusammengefasst, liegt ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Arbeitsunfähigkeit nur dann vor, wenn er in grober Weise gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen gehandelt hat.

Ein Verhalten, das man allgemein als leichtsinnig bezeichnet, erfüllt diese Voraussetzung nicht zwingend.

Die Richter am Landesarbeitsgericht Köln fordern der Rechtsprechung folgend vielmehr ein besonders leichtfertig oder gar vorsätzliches Verhalten des Arbeitnehmers. Das kann auch daran liegen, dass er in grober Weise gegen Sicherheitsbestimmungen des Arbeitgebers verstößt.

Praktisches Beispiel: Falsche Schuhe führen nicht zwingend zum Eigenverschulden

Um das einmal am praktischen Fall zu zeigen: Geklagt hatte eine Mitarbeiterin in einem Restaurant, die während der Arbeit auf dem nassen Boden stürzte und sich dabei so schwer verletzte, dass sie ca. vier Wochen arbeitsunfähig war. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung, weil er der Ansicht war, die Mitarbeiterin habe die Arbeitsunfähigkeit selbstverschuldet. Ausgerutscht sei sie nämlich deshalb, weil sie an dem Tag Stoffturnschuhe mit glatten Sohlen getragen habe.

Bereits am vorhergehenden Tag hätten Vorgesetzte sie zweimal unabhängig voneinander darauf hingewiesen, dass die Schuhe nicht rutschfest wären. Im Übrigen sei der fragliche frisch gewischte Bereich durch ein gelbes Warnschild gekennzeichnet gewesen.

Die Mitarbeiterin bestritt dies, sodass man jetzt eigentlich an eine Beweisaufnahme hätte denken müssen. Dies, um festzustellen, ob diese Hinweise und das Warnschild tatsächlich Realität waren. Das Gericht sah allerdings von der Beweisaufnahme ab. Selbst wenn die Darstellung des Arbeitgebers richtig sein sollte, würde nämlich nach Ansicht des Gerichts noch kein eigenes Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit vorliegen.

Denn selbst das Tragen von Stoffturnschuhen würde noch keinen groben Verstoß gegen Anordnungen, die ihrer Sicherheit dienen, auslösen. Bei solchen Schuhen handele es sich nicht per se um ungeeignetes Schuhwerk. Dazu kam, dass der Unfall in einem Bereich geschah, zu dem auch Gäste Zutritt hatten. Wäre die Gefahr tatsächlich so groß gewesen, hätte der Arbeitgeber diesem Bereich komplett auch für Gäste sperren müssen. Jedenfalls lag kein besonders grober Verstoß gegen ihrer Sicherheit dienenden Anweisungen vor.

Selbst verschuldete Arbeitsunfähigkeit: In diesen Fällen brauchen Sie keine Entgeltfortzahlung leisten

Entscheidend ist also wie so oft der Einzelfall. Zur Orientierung mögen Ihnen einige Entscheidungen dienen, in denen Gerichte eine selbstverschuldete Arbeitsunfähigkeit angenommen und den Arbeitgeber daher von der Entgeltfortzahlungspflicht befreit haben.

Eigenes Verschulden, also keine Entgeltfortzahlungspflicht:

  • Arbeitsunfähigkeit aufgrund Nikotingenuss, wenn der Arbeitnehmer gegen klare und unmissverständliche ärztliche Weisungen verstößt, wenn er weiß, dass durch starkes Rauchen bereits die Krankheit eingetreten ist und bei einem weiteren Nikotinkonsum mit aller Wahrscheinlichkeit Arbeitsunfähigkeit eintreten wird (Beweisproblem)
  • Arbeitsunfähigkeit wegen Alkoholsucht, wenn der Arbeitnehmer eine Entziehungskur erfolgreich abgeschlossen hat und wieder rückfällig wird (Ausnahme: trotz Entziehungskur kann der Arbeitnehmer sein Verhalten noch nicht ausreichend steuern)
  • Verletzungen durch eine Schlägerei, die der Arbeitnehmer provoziert hat
  • Verletzung durch Verkehrsunfall, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig Verkehrsvorschriften verletzt und damit seine Gesundheit riskiert hat (z.B. Nichtanlegen von Sicherheitsgurten, Verletzung aufgrund eines nicht verkehrstauglichen Fahrzeuges, grobe Unvorsichtigkeit beim Überschreiten der Straße, grobe Vorfahrtverletzung, eventuell Telefonieren mit dem Handy ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt, Unfälle unter Alkoholeinfluss)
  • Ausüben besonders gefährlicher Sportarten, wobei die Gerichte bei der Annahme einer besonders gefährlichen Sportart sehr restriktiv sind. Drachenfliegen und Amateurboxen gehören zum Beispiel nicht zu.

Kein eigenes Verschulden, also Entgeltfortzahlungspflicht

  • allgemein Nikotingenuss
  • Alkoholsucht
  • in der Regel Arbeitsunfähigkeit infolge Suizidversuchs
  • Verletzungen infolge von Nebentätigkeit oder Schwarzarbeit (umstritten)
  • Verletzung beim Sport, solange die jeweils geltenden Regeln berücksichtigt werden und der Arbeitnehmer sich sportlich so betätigt, dass seine Kräfte und Fähigkeiten nicht deutlich überschritten werden
  • Arbeitsunfähigkeit infolge von Behandlungsmaßnahmen wegen Unfruchtbarkeit
  • Bissverletzungen eines Hundehalters, der seinen Hund aus einer Notlage befreit.