Keine Wiedereingliederung nach Krankheit: Chef droht Schadensersatz

Kommt ein Mitarbeiter nach langer Zeit aus der Arbeitsunfähigkeit zurück, hat er grundsätzlich einen Wiedereingliederungsanspruch. Eine "Arbeitsfähigkeitsbescheinigung" des Arztes hat dabei eine große Bedeutung. Verweigern Sie ihm als Arbeitgeber die schrittweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben, drohen Schadensersatzforderungen des Mitarbeiters (LAG Hamm, 04.07.2011, Az.: 8 Sa 726/11).

Die Richter am Landesarbeitsgericht Hamm hatten einen Fall zu entscheiden, der in der Praxis gar nicht so selten ist. Dabei ging es um die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt von Annahmeverzug und/oder Schadensersatz, den ein Mitarbeiter geltend machte.

Welchen Fehler machte der Arbeitgeber?

Der Mitarbeiter war seit dem 1.7.2003 beschäftigt. Ab dem 30.4.2008 und jedenfalls bis zum 3.11.2008 war er wegen einer depressiven Erkrankung arbeitsunfähig. Im Oktober 2008 lehnte der Arbeitgeber den vom Arzt vorgeschlagenen Weg einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben ab. Da der Mitarbeiter in der Sicherheitszentrale eingesetzt war, begründete er dies mit Sicherheitsbedenken. Am 4.11.2008 bot der Mitarbeiter erneut seine Arbeitskraft an und legt dabei eine ärztliche "Arbeitsfähigkeitsbescheinigung" vor.

Einige Tage später legte er ergänzend eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes seiner Krankenkasse vor, aus der sich ergab, dass auch der MDK von der Fähigkeit zur Wiederaufnahme der Arbeit ausging. In der Folge lehnte der Arbeitgeber die Beschäftigung wegen bestehender Sicherheitsbedenken erneut ab, was zu einem Rückfall des Mitarbeiters führte.

Er war von Ende März bis Mitte April 2009 erneut arbeitsunfähig. Anschließend bot er erneut unter Vorlage einer Bescheinigung des MDK seine Arbeitskraft erfolglos an (Sachverhalt leicht abgekürzt). Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht verurteilten im Ergebnis den Arbeitgeber zur Zahlung von Annahmeverzugslohn.

Fähigkeit zur teilweisen Arbeitsleistung reicht

Der Arbeitgeber argumentierte unter anderem damit, dass der Arbeitnehmer nicht sämtliche mit seiner Position verbundenen Aufgaben ausüben konnte. Die Richter gingen davon aus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen billigen Ermessens einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz zuzuweisen hatte. Da er dies nicht getan hatte, entstand ein Schadensersatzanspruch in Höhe des Verzugslohns.

Das Gericht betonte ausdrücklich, dass der Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn in einem solchen Fall keine Leistungsfähigkeit für sämtliche, nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages geschuldeten Tätigkeiten voraussetzt.

Wiedereingliederung faktisch obligatorisch

Die Richter stellten weiter fest, dass es dem Arbeitgeber in arbeitsrechtlicher Hinsicht nicht freistehe, sich auf eine ärztlich empfohlene stufenweise Wiedereingliederung einzulassen oder nicht. Wie sich aus § 84 Abs. 2 SGB IX ergäbe, treffe den Arbeitgeber in den dort genannten Fällen die Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Diese Vorschrift ist Arbeitgebern nach wie vor oft unbekannt. Auszugsweise lautet sie:

"Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement)“.

Wie Sie Schadensersatzforderungen vermeiden

Aus dem Urteil ergibt sich eindeutig, dass ein Arbeitgeber, der die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements oder der in diesem Zuge als geeignet in Betracht kommenden Maßnahmen verweigert, zum Schadensersatz verpflichtet ist. Der Schaden besteht in der Regel in dem Lohn, den der Mitarbeiter sonst erzielt hätte. Gegebenenfalls sind Sie als Arbeitgeber auch zu organisatorischen Änderungen im Betriebsablauf verpflichtet.

Hohe Anforderungen an Sie als Arbeitgeber

In der Praxis liegen damit die Anforderungen an den Arbeitgeber
relativ hoch. Auf der anderen Seite bietet dies die Möglichkeit, gute
Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden. Gerade in Zeiten des
Fachkräftemangels wird dies immer wichtiger werden.

Wenn also einer Ihrer Mitarbeiter nach langer Krankheit wieder – und sei es zunächst nur teilweise – an seinen Arbeitsplatz zurück kehren kann, sind Sie in der Regel nicht nur gesetzlich verpflichtet, sondern auch gut beraten, dies durch geeignete organisatorische Maßnahmen zu ermöglichen. Dazu kann zum Beispiel gehören:

  • Entbindung von einzelnen Aufgaben
  • Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes, der zum Beispiel weniger lärmintensiv ist
  • Ausstattung mit arbeitserleichternden Maschinen oder Geräten
  • Arbeit unter Aufsicht

Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Gegebenenfalls ziehen
Sie den Werks- oder Betriebsarzt hinzu.